top of page

Von Katzen und Betroffenen mit Autismus Spektrum

Twinkie: Von einer verlassenen Katze zu einer Therapiekatze!

Sind Katzen wirklich auf dem Autismus Spektrum?


Dr. Vera Bernard-Opitz


Twinkie hat überzeugt: trotz jahrelanger Katzen-Skepsis hat sich diese ein-jährige Katze in unser Haus und unser Herz geschlichen. Und dabei habe ich einiges über das Training von Katzen und ihre therapeutische Wirkung auf Betroffene mit Autismus gelernt.


Als unser 30-jähriger Sohn mit 9 Baby-Katzen und 2 erwachsenen Katzen von AZ nach CA zurückzog, vermutete ich mal wieder „trouble“. Bereits als Kind (mit ADHS) war er durch seine Tierliebe nicht selten eine Herausforderung für Schule und zuhause. So konnte er bereits mit 3 Jahren Frösche mit beiden Händen fangen, deren Nachkommen nach kurzer Zeit unseren Garten durch andauernde Froschkonzerte „bereicherten“. Diesmal also Katzen und alle schwarz mit gelben Augen und Schmelzblick!


Die Geschichte dahinter ist ebenso herzzerreißend: Er hatte einen Wurf mit 5 Babykatzen in einem schrottreifen Auto gefunden. Da keine Mutterkatze zu finden war, nahm er sie zu sich und zog die Kleinen mit der Pipette auf. Aus 4 kleinen Indoor- Katzen wurden im Nu 8, dann 12 und Papa „Chief“ hörte auch da nicht mit seinen Vermehrungsversuchen auf. Eine der Würfe war motorisch schlaff und besonders anhänglich, so dass er sie „Twinkle Toe“ (= “Glitzer-Zeh“) nannte. Er schenkte sie uns mit den Worten „Ich weiß nicht, ob ich Euch jemals noch was Besseres schenken kann“.  Und tatsächlich: nach beidseitigem Beschnuppern wurde Twinkie Toe ein echter Schatz … und nicht nur das!!!

 

Twinkie erwies sich als dankbarer Lerner, die die Wirkung von Verstärkung eindrucksvoll zeigt. Der unmittelbare Laut eines Klickers als Ankündigung von einem Verstärker war zu Beginn des Trainings hilfreich (Grant & Warrior, 2019). Sie reagiert jetzt meist mit ihrem aufmerksamen Blick und kommt, wenn man sie ruft – es sei denn sie ist anderweitig beschäftigt. Sie hat mit einfachen Anweisungen, deutlichen Hilfestellungen und positiven Konsequenzen wie Lob, Streicheln, Katzenspielzeug und kleinen Leckerbissen gelernt, auf „Komm“ „Warte“, „Spring“, „Dreh Dich“, „High five“,  „Berühr“, „Gib Tatze“, und zusätzliche situative Anweisungen zu reagieren, was für Katzen, die i.a. als schwer trainierbar gelten,  schon besonders ist.



Sie sitzt stundenlang neben mir auf dem „Assistentenstuhl“ und sieht mich mit großen Augen an, wenn sie – selbst bei einem kurzen Weggehen von mir - den „Chefsessel“ erklommen hat. Sie mag Routinen und kommuniziert durch Herumschleichen um meine Beine und leises Miauen, wenn – aus ihrer Sicht - Spielzeit ist, das Wasser nicht am richtigen Ort steht, der Futternapf nicht oder mit dem „falschen“ Futter gefüllt ist oder die Arbeitszeit (nach 23:30 Uhr) überschritten ist. Und sehr besonders: sie kommuniziert spontan durch ihren Blick und Heben ihrer Tatze, dass sie trainiert werden möchte.


Twinkie ist sehr anhänglich und verfolgt ihre Bezugsperson auf Schritt und Tritt. Sie ist eine Schmusekatze, die deutlich zeigt, wo genau sie gestreichelt werden mag. Bei Besuch von Fremden kommt sie entweder zum Beschnuppern des Neulings oder zieht sich zurück und versteckt sich in ihrem Katzenbau, einem Spieltunnel und unter Schränken, Sofas und in Kisten. Sie ist fasziniert von bestimmten Geräuschen und Bewegungen wie dem abgebildeten Ballspiel und mag das endlose Spiel mit verschiedenen Schlenker Stäben. Allein spielt sie besonders gern in ihrem Tunnel, wirft einen piependen Spielvogel und Spielmäuse hin und her, versteckt und sucht sie. Sie hat sich zu einer „Emotional Support Animal“ (einem emotionalen Unterstützertier) gemausert und darf als Begleitung mit Ausweis und Plakette in jedes amerikanische Restaurant oder öffentliches Verkehrsmittel (https://usserviceanimals.org).



„Therapie Hunde“ und „Therapie Katzen“



Eltern und Betroffene haben wiederholt berichtet, dass Hunde und Pferde für Menschen auf dem Autismus-Spektrum hilfreich sind. So sollen Therapiehunde beispielsweise Wutanfälle verhindert oder unterbrochen haben, die Fähigkeit der Kinder, einzuschlafen erleichtert haben und zu einer allgemeinen Beruhigung des Kindes beigetragen haben. Leider beruhen diese Behauptungen hauptsächlich auf anekdotischen Berichten, die bislang nicht durch objektive Studien bestätigt werden konnten. In einer kürzlich durchgeführten Studie mit 39 Familien fanden Rodriguez et al. (2024) lediglich eine Verbesserung des Schlafverhaltens durch einen Therapiehund. Dagegen waren Rückzug, Reizbarkeit, Hyperaktivität und Selbstkontrolle der Kinder im Vergleich zur Kontrollgruppe nur leicht verbessert.


Im Vergleich zu den Berichten über die positive Wirkung von Therapiehunden wurde erst in letzter Zeit das Verhalten von Katzen genauer untersucht. Der Englisch-sprachige Film „Inside the Mind of a Cat“ ist einer der beliebtesten Netflix Filme https://www.netflix.com/title/81447086. Er hat anfängliche Forschung mit Katzen einem größeren Publikum bekannt gemacht.


Soziale Medien und Tierzeitschriften berichten über einen positiven Einfluss auf soziale und spielerische Fähigkeiten, wenn Kinder mit Autismus mit ihrer Katze interagierten. Wie bei Therapiehunden berichten Eltern und Betroffene, dass Katzen ein Gefühl des Wohlbefindens auslösen, Vertrauen schaffen, das Selbstvertrauen stärken und Stress, Ängste und Depressionen verringern (Timms, 2024).  Ihre Anwesenheit kann bei Gefühlen von Einsamkeit und Traurigkeit tröstend wirken und zur emotionalen Stabilität der Betroffenen beitragen. 


Darüber hinaus können Katzen gegenüber Hunden im Umgang mit Kindern mit Autismus Vorteile haben. Im Vergleich zu Hunden haben Katzen weniger häufigen Blickkontakt, sind in der Regel weniger aktiv und laut und werden daher von einigen Kindern und Jugendlichen mit Autismus als weniger bedrohlich empfunden. Im Rahmen einer Psychotherapie kann das Vertrauen des Betroffenen in den Therapeuten durch eine Therapiekatze gestärkt werden.  Und nebenbei sind sie i.a. pflegeleichter als Hunde, benötigen weniger Auslauf und verursachen weniger Kosten.


Nach unseren eigenen ersten Beobachtungen können Kinder mit Autismus durch die Interaktion mit Katzen während der Therapie Ängste und depressive Stimmungen abbauen sowie Einfühlungsvermögen und emotionalen Ausdruck lernen. Auch hier handelt es sich um eine anekdotische Feststellung, die auf wenigen Fällen beruht und durch objektivere Daten untermauert werden sollte!


Vielleicht kann Twinkie Toe bereits jetzt das Eis für Menschen auf dem Spektrum brechen, wie sie es bereits bei einigen meiner Patienten mit AS getan hat. Nach den ersten Beobachtungen kamen Kinder und Jugendliche mit Autismus auf Twinkie zu, wollten sie streicheln, ihr Anweisungen geben und ihre Spiele verfolgen. Die sonst hinderlichen Kommunikationsbarrieren, die Depressionen und die Selbstbezogenheit der Betroffenen schienen plötzlich vergessen zu sein. Die Erkenntnis, dass Katzen gar nicht so "schwer zu erziehen" sind, kann darüber hinaus ermutigend sein: Klare Lernstrukturen, einfache Kommunikation, motivierende Aufgaben und verstärkende soziale Konsequenzen können Tieren und Menschen offensichtlich helfen.


In dem englischen Bestseller "All cats have Autism Spectrum" (Hoopmann, K., 2020) werden typische autistische Verhaltensweisen mit eindrucksvollen Fotos von kleinen und großen Katzen illustriert. Unter anderem werden sensorische Auffälligkeiten, Vorlieben für bestimmte Gerüche, Nahrungsmittel und Routinen, sozialer Rückzug, wiederholgendes Spiel und die ausgeprägte Sensibilität dieser Tiere wunderbar visualisiert. Das Buch kann jungen und älteren Lesern, Betroffenen und solchen, die mehr über Autismus erfahren wollen, einen ersten Einblick in die Vielfalt der besonderen Verhaltensweisen geben, die bei einigen (nicht allen!) Katzen und Menschen auf dem Autismus-Spektrum auftreten.



„Durch meine Katze bin ich nicht mehr allein!"

Für weitere Information, Literatur wenden Sie sich bitte an


10 Ansichten0 Kommentare

Aktuelle Beiträge

Alle ansehen

Commenti


bottom of page